Aktienjahrbuch Deutschland 2024
Juni 30, 2024Nach fast 20 Jahren Überrendite der Growth-Aktien könnte bald schon das Pendel wieder in Richtung der Value-Aktien umschlagen
Lange Erfolgsphase von Wachstumsaktien
Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, NVIDIA oder Tesla im Portfolio zu haben war in den letzten Jahren nicht nur in Mode, sondern auch ein Muss, um keine schlechtere Rendite als der allgemeine Aktienmarkt zu erzielen. Diese Aktien aus den USA sind aufgrund ihrer hohen Wachstumsraten derart im Fokus der Anleger, dass man ihnen sogar einen eigenen Namen gab: die „Glorreichen Sieben“ („Magnificent Seven“). Allein im letzten Jahr betrug deren Wertentwicklung im Durchschnitt 111%, wohingegen der allgemeine Aktienmarkt in den USA nur um 24% zulegte (S&P 500).
Auch im laufenden Jahr 2024 setzte sich die Erfolgsserie der Wachstumsaktien (Growth-Aktien) fort. So konnte der Russell 1000 Growth Index seit Jahresanfang eine Rendite von 25,0% erzielen, wohingegen der Russell 1000 Value mit seinen Substanzaktien (Value-Aktien) bis zum 16.7. nur 11,4% verbuchte. Im Russell 1000 Growth sind die wachstumsstärksten Aktien aus dem Russell 1000 enthalten, darunter auch die Glorreichen Sieben. Der Russell 1000 umfasst die 1.000 größten US-Aktien. Im Russell 1000 Value sind die günstigsten Aktien aus dem Russell 1000 enthalten. Beflügelt wurden die Wachstumsaktien von der ersten Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank im Juni 2024 seit Beginn des Zinsstraffungszyklus im Jahr 2022.
Die Erfolgsphase der Wachstumsaktien begann aber bereits im Jahr 2006. So erzielte der Russell 1000 Growth vom 8.8.2006 bis zum 16.7.2024 eine Rendite von 14,0% pro Jahr, wohingegen der Russell 1000 Value nur eine Rendite von 8,0% pro Jahr erreichte.
Niedriges Zinsniveau begünstigte Wachstumsaktien
Neben den hohen Wachstumsraten in den Bereichen Informationstechnologie, Internet, Mobiltelefonie, Halbleiter, Künstliche Intelligenz und soziale Medien war das niedrige Zinsniveau in den letzten Jahren ein Hauptgrund für die starke Wertentwicklung der Wachstumsaktien. Betrug der Leitzinssatz der amerikanischen Notenbank Fed 2006 noch hohe 5,25%, so fiel dieser für viele Jahre auf eine Bandbreite von 0,00% bis 0,25%. Dadurch wurde auch der Diskontierungszinssatz bei der Unternehmensbewertung deutlich niedriger. Die diskontierten zukünftigen Gewinne stark wachsender Unternehmen waren dadurch viel mehr wert als bei einem normalen Zinsniveau. Heute ist das Zinsniveau, und damit auch der Diskontierungssatz, wieder höher. Dadurch sind die zukünftigen Gewinne der Wachstumsunternehmen weniger wert als bisher.
Trendwende?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Börsenlieblinge von heute nicht unbedingt die Gewinner von morgen sein werden und umgekehrt. Nichts wächst in den Himmel und die wenigsten Dinge werden wertlos, so Howard Marks, ein legendärer Value-Investor. Das liegt an den hohen Bewertungen der Börsenlieblinge. Bestimmte Aktien wollen die Anleger im Depot haben – koste es, was es wolle. Die Anleger haben Angst, eine schlechtere Rendite als der Markt zu erzielen, sollten bestimmte Aktien nicht im Depot enthalten sein. Dieses lemminghafte Verhalten treibt nicht nur die Aktienkurse hinauf, sondern auch deren Bewertungen. Aktuell ist der Bewertungsabschlag der Substanzaktien im Vergleich zu den Wachstumsaktien so hoch wie in nur zwei anderen Phasen seit 1927, nämlich Anfang der 1930er Jahre und zur Jahrtausendwende.
Substanzaktien schlagen Wachstumsaktien
Auf lange Sicht ist die Börse aber eine Waage und kein Stimmungsbarometer (Benjamin Graham). Relativ günstig bewertete Substanzaktien sollten sich aus heutiger Perspektive auf lange Sicht besser entwickeln als relativ teuer bewertete Wachstumsaktien. Dieser Bewertungseffekt kann auch gemessen werden. Daten des Professors Kenneth R. French zeigen eine Überrendite der Substanzaktien im Vergleich zu den Wachstumsaktien von durchschnittlich 2,8% pro Jahr seit 1927. Substanzaktien konnten von Anfang Januar 1927 bis Ende Mai 2024 eine Wertentwicklung von 12,7% pro Jahr erzielen, wohingegen Wachstumsaktien nur eine Wertentwicklung von 9,9% pro Jahr verbuchten.
Überrendite ist nicht konstant
Die Überrendite der Substanzaktien gegenüber den Wachstumsaktien wird nicht konstant erwirtschaftet, sondern phasenweise. Es gibt Phasen, in denen sich Substanzaktien besonders gut entwickeln, und Phasen, in denen sich Wachstumsaktien besonders gut entwickeln. Seit Mitte 2006 herrscht ein ausgeprägter Bullenmarkt für Wachstumsaktien. Bis dahin hatten die Substanzaktien jedoch in Summe die Nase vorn. Lediglich im Jahr 2022 flüchteten die Anleger aufgrund der stark gestiegenen Inflation und anziehenden Zinsen in Substanzaktien. Technologieaktien verloren hingegen stark. Das war aber nur eine kurze Rally. Die erwartete Zinswende für das Jahr 2024 beflügelte die Technologieaktien anschließend wieder.
Fazit
Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis der Markt wieder auf die Aktienbewertung achtet und Aktien „langweiliger“, durchschnittlich wachsender Unternehmen mit einer günstigen Bewertung favorisiert. Die empirischen Daten deuten jedenfalls auf einen Wendepunkt hin. Für wertorientierte Anleger sollten somit
goldene Zeiten anbrechen!
Dieser Artikel ist im Smart Investor Magazin erschienen (Ausgabe 08/2024).